Die Krux mit dem Erdgas – von Europas Kampf gegen die Vernunft. Und wie mit Flüssiggas aus den USA die Wirtschaft Europas mutwillig zerstört wird.
Der Teufel liegt bekanntlich im Detail. Das gilt auch beim Erdgas. Vor allem, wenn es aus Russland kommt. Oder eben besser nicht. Die westliche Welt sei moralisch dazu verpflichtet, den Import von russischem Gas zu stoppen. Darüber hinaus sei es eine Frage der wirtschaftlichen Unabhängigkeit gegenüber Russland, nur so könne Europa künftig als eigenständiger Kontinent wirtschaftlich und politisch überleben. So lautet das Mantra unserer Politiker und medialen Meinungsmacher. Und folglich mussten wir Europäer Gaspreisexplosionen von bis zu 1'000 Prozent in Kauf nehmen. Im Winter nach der Nord-Stream-Sabotage hatte die deutsche Regierung wegen der hohen Energiekosten ein Hilfspaket von über 250 Milliarden Euro schnüren müssen, damit Großunternehmen weiter produzieren und Hausbesitzer weiter heizen konnten. Wer für dieses zusätzliche Geld bezahlen wird, ist klar: die Steuerzahler. An der ganzen Misere sei allein der „böse Putin” schuld, heißt es überall.
Doch die Wahrheit ist ein wenig komplexer (mehr dazu im Artikel Amerika: Kriegslüsterne Supermacht). Ebenso ist es ein wenig schwieriger und vor allem teurer als behauptet, russisches Erdgas durch amerikanisches Schiefergas zu ersetzen. Wer kennt denn schon den Unterschied zwischen H-Gas und L-Gas? Dabei wird uns dieser unscheinbare Buchstabenwechsel Milliarden kosten.
Vor dem Ukrainekrieg konnte man auf der Internetseite der deutschen Bundesnetzagentur lesen: „In Deutschland gibt es zwei verschiedene Erdgasarten. L-Gas (Low calorific gas) hat einen geringeren Methangehalt und damit einen geringeren Brennwert beziehungsweise Energiegehalt als H-Gas (High calorific gas).“ Mit anderen Worten: L-Gas ist von schlechterer Qualität als H-Gas, weil man mehr davon verbrennen muss, um dieselbe Energiemenge freizusetzen. Dann gibt es da noch ein weiteres Problem, wie die Bundesnetzagentur schreibt: „Wegen des unterschiedlichen Brennwerts müssen die beiden Gasarten in getrennten Gasnetzen transportiert werden.“
Der Boykott von russischem Erdgas hat aus dieser scheinbaren Mücke einen Elefanten gemacht: Denn dummerweise hat ausgerechnet russisches H-Gas den größten Brennwert und damit die beste Qualität. Das amerikanische LNG-Gas1 hingegen ist minderwertig und deswegen als L-Gas eingestuft. Wie erwähnt ist der Unterschied zwischen H- und L-Gas so groß, dass sie eine völlig getrennte Infrastruktur benötigen. Doch auch Brennkessel und Anlagen müssen beim Wechsel auf ein anderes Gas umgestellt oder ganz ersetzt werden. Privathaushalte kommen allenfalls mit einem blauen Auge davon, falls sie hierfür nur die Düsen des Heizkessels austauschen und die Geräte neu einstellen müssen. Das alles kündigt die Bundesnetzagentur in der Marktraumumstellung (MRU) an.
Gut, dass Deutschland deshalb schon vor Jahren mit dem Austausch der Gasnetze begonnen hat und diesen bis 2030 abgeschlossen haben will – so möchte man meinen. Aber nein, das ist gar nicht gut! Denn der Wechsel lief bislang in die jetzt plötzlich falsche Richtung. Was wirtschaftlich und umweltpolitisch sinnvoll ist, ist im heutigen Politklima zum Tabu erklärt geworden: nämlich „die Umstellung von L- auf H-Gas“ (so die Bundesnetzagentur) und damit die flächendeckende Anpassung an das hochwertigere Erdgas aus Russland.
Weil die Mühlen der Behörden langsam mahlen, entstand die paradoxe Situation, dass 2022 noch fleißig H-Gasleitungen in deutscher Erde verbuddelt wurden, während Russen und Ukrainer bereits aufeinander schossen und längst kein Erdgas mehr durch die Nord-Stream-Pipelines strömte. Nun muss man also schnellstens umplanen und von besser auf schlechter umrüsten. Denn nur so kann Europa das mindere – dafür aber um ein Vielfaches teurere – Flüssiggas aus den USA verwerten. Darüber hinaus stammt dieses LNG-Gas aus der Fracking-Industrie, was die mit Abstand ineffizienteste und umweltschädlichste Fördermethode von Erdgas ist!2
Als wäre das nicht schon widersinnig genug, muss das mit hohem Energieaufwand verflüssigte Schiefergas dann in riesigen Tankern über den Atlantik transportiert werden, wo es in eigens dafür gebauten Terminals entladen und aufbereitet wird. Solche Klimasünden (um auch mal ein beliebtes Schlagwort zu verwenden) verursachen Zusatzkosten, die wir selbstverständlich ebenfalls über die Energiepreise bezahlen.
In eine ähnlich verzwickte Lage haben sich die Europäer auch beim Dieseltreibstoff hineinmanövriert.
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